Twenty-nine different attributes …

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von JULIA DETTMER

… Only seven that you like, 
oh Twenty ways to see the world, 
oh Twenty ways to start a fight, oh. 


(The Strokes: „You Only Live Once“ auf „First Impressions of Earth“)

3

Das Jahr vor der großen Zahl ist da! 
„Und, wie ist es so kurz vor dem totalen Verfall?“ 
„Und, jetzt biste dann aber auch langsam zu alt fürs Southside, gell?“
„Und, schaffste noch ein Baby vor 30?“

… derart charmante Fragen wurden mir am Ehrentag letzte Woche öfter gestellt als solche nach meinem aktuellen Befinden. 
Trotzdem brachten sie mich zum Grübeln. Warum meint jeder, in seine Frage gleich eine Feststellung oder ein Urteil einarbeiten zu müssen? Ist das so, wenn Leute auf die 30 zugehen? Klopft man dann imaginär eine Lebens-To-Do-Liste ab, um zu überprüfen, wie weit die Person schon ist?

Ich hatte vor vielen Jahren (genau zehn, um es auf den Punkt zu bringen) einen Plan. Als ich damals meine Seite für die Abizeitung ausfüllte, schrieb ich aus Mangel an alternativen Träumen bei „Mein Weg aus dem Olymp führt nach …“: „Realschullehramt Kunst & Deutsch in Regensburg“. Ich hatte tatsächlich im Kopf, Lehrerin zu werden. Ich wollte mit 28 mein erstes Kind kriegen (natürlich bereits im Eigenheim residierend und mit güldenem Ringlein ausgestattet) und fortan Nachwuchs und tolle Dekoideen für den Garten produzieren – anstatt Texte. Rückblickend betrachtet nicht sehr mutig und nicht sehr selbstbewusst.

Damals schien mein Plan ganz klar, war nicht anzutasten, war einfach normal. Damals. Mit einem Schlag kam es dann anders, brach meinen Plan auf, öffnete weite Tore und jagte mich raus in die Welt. Medienwissenschaft wurde in Regensburg neu eingeführt und ich schrieb mich ein. Ich hatte keine Ahnung, unter was ich da gerade meinen Servus gesetzt hatte. Ich wusste nur, dass es sicher besser war, als Lehrerin zu werden (nichts gegen gute, leidenschaftliche Lehrer!).

Unter all der Vernunft brodelte nämlich meine Gier nach mehr. Ich zerriss meine Seite und füllte sie neu aus: „Medien- und Kulturwissenschaft in Regensburg“. Mit der Einschreibung an der Uni hatte ich den ersten Schritt in Richtung Journalismus gemacht. Ich war die klassische „IWMlerin“ („Irgendwas mit Medien“). Keinen Plan von nix, aber geil, Medien.

Die, die sich fortan beim familiären Kaffeekränzchen anhören durfte: „Und was machst du dann damit?“, „Da findest du fei nix danach!“ Wenn ich an all die schlaflosen Nächte zurückdenke, in denen mir diese Sätze durch’s Hirn sausten … ist dann gar nicht so leicht, wenn man in sich ein zartes Pflänzchen Passion und Rebellion spürt und es mit aller Kraft vor den Tritten von außen beschützen muss. Weil es so zart ist, weil man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es durchkommt.

Nicht nur Verwandte, sondern auch mein Professor war ein Desillusionierungs-Profi: „Wer Journalist werden will, ist hier falsch. Da müssense Wirtschaft studieren.“ Mhm, schon klar, ich und Wirtschaft. Da hätte ich dann auch gleich Physik belgen können (ich sag nur: Abfragen in Physik in der Kollegstufe waren regelmäßig die blamabelsten Minuten meines Lebens).

Also, auf jeden Fall habe ich irgendwie durchgehalten und – zwar nicht durch das Studium selbst, sondern durch diverse Praktika und Schreibereien – mein Pflänzchen zum Wachsen ermutigt. Am Ende hatte ich es großgezogen. 

Was ich damit sagen will: Ich habe kein Kind, ich bin nicht verheiratet und ich wohne nicht im Eigenheim. Dafür genieße ich das Gefühl, mein Pflänzchen – also mich – voll entfaltet zu haben und das jeden Tag weiter zu tun. Hätte ich den ursprünglichen Lehrer-Plan umgesetzt, wäre es/ich vermutlich verkümmert.

Ich kann mir aus meiner jetzigen Situation heraus einfach nicht vorstellen, dass ich dann wirklich glücklich geworden wäre. Sicher und ebenfalls 29 bestimmt, aber ich wette, ich hätte was bereut. Hätte, hätte, Fahrradkette. „Hätte ich doch …“ ist nämlich meist schmerzhafter als „Hätte ich doch nicht …“.

8

Eine verpasste Gelegenheit kann man oft nicht nachholen, einen zünftigen Rausch aber auskurieren. Ich glaube, es ist an der Zeit, kluge Sätze wie „Heute ist eh alles anders“ und „40 ist das neue 30“ nicht nur zu sagen, sondern auch zu glauben. Schließlich bleiben noch genügend Jahre für neue, kleine Pflänzchen und eigene Gartengewächse, oder etwa nicht? Jetzt ist die Gelegenheit, um zu leben. Erwähnte ich, dass es an Silvester nach New York geht? Bis dahin wird gegrillt und gechillt. Cheers!