5 x „Damit hab‘ ich nicht gerechnet“ im ersten Baby-Jahr

von JULIA DETTMER

von JULIA DETTMER

Das Rennen war knapp, aber haarscharf hat dieses Thema bei meiner kleinen Instagram-Umfrage gewonnen (den grünen Haken bitte ignorieren, die Stimmen am Ende zählen):

Ihr wollt also wissen, was mich im ersten Jahr mit meinem Kind total überrascht hat und – gebt es ruhig zu, ihr Würstchen – was mich an den Rande des Wahnsinns getrieben hat. Geht klar, machen wir. Natürlich liefere ich in dettmerscher Manier pronto ab. Sorry, wenn ich manchmal ironisch werde. Aber wenn eines bei akuter Verzweiflung hilft, dann Durchatmen und es mit dusseligem Humor nehmen.

1. Haarausfall vom andern Stern

Fangen wir bei dem an, was mich drei Monate nach der Geburt fast dazu gebracht hat, mir meine Haare zu raufen (habe ich aus Mangel an ebensolchen dann nicht gemacht, Haare wurden kostbare Güter): der Haarausfall. Ich hatte das überhaupt nicht auf dem Schirm und von heute auf morgen verlor ich drei Monate nach der Geburt jeden Tag ganze Büschel. Haare Waschen wurde zur Qual, weil ich mir Strähne um Strähne vom Kopf ziehen konnte, es wollte gar nicht mehr aufhören. Jedes Mal, wenn ich mir einen Zopf machte, kam es mir vor, als könnte ich das Haargummi noch einmal mehr drum herumbinden. Als ob mindestens ein Drittel fehlen würde. Die Gerstengraskapseln, die ich dann auf Empfehlung diverser Mamas einnahm, brachten natürlich nüscht.

Ich habe darunter ziemlich gelitten, obwohl es niemandem sonst aufgefallen ist (ihr habt zumindest nix gesagt, sehr rücksichtsvoll von euch). Ihr müsst wissen, dass ich mit meinen Haaren nie Probleme hatte. Ich muss sie nicht färben, nicht glätten, sie gefallen mir einfach so, wie sie sind. Wenn etwas, was man dankend immer als selbstverständlich angenommen hat, plötzlich zur Problemzone wird, macht einen das fertig.

Nach dem ersten Monat der Erkahlung und der Gewissheit, dass ich es einfach aushalten muss, bis es sich von selbst gibt, rechnete ich aus: „Hm, der Scheiß soll drei Monate dauern. Wenn ich nur noch einmal die Woche Haare wasche, sind das noch circa acht Wochen, also acht Mal Haarewaschen, das schaffe ich!“ Also schraubte ich den Trockenshampoo-Konsum nach oben und das Haarewaschen runter, trug nur noch Dutt und irgendwann war der Spuk vorbei.

Übrigens: Die kommen wieder. Jetzt habe ich am ganzen Kopf Babyhaare, die teilweise sehr lustig aussehen:

2. Ich = brutaler Kontroletti

„Wie geht es ihm? Wie hat er geschlafen? Trinkt und isst er genügend? Habt ihr ihn vor dem Rausgehen eingecremt?“
Solche Aneinanderreihungen von Fragen, die selbstverständlich alle mit „ja“ oder „gut“ beantwortet werden können, bin ich eigentlich nur von meiner fürsorglichen Mama gewohnt und sie nerven mich. Doch siehe da, kaum bin ich selbst Mama, verfalle ich auch in dieses Muster. Vermutlich grinst sich meine Mama immer eins, wenn sie solche Nachrichten erhält. Wenn der Kleine zur Abwechslung nämlich mal bei Oma und Opa ist, kann ich mich nicht zurückhalten und erfrage ständig seinen Zustand. Meine Mama ist dann nicht genervt, sondern antwortet ausführlich und danach bin ich absolut beruhigt. Danke Mama.
Noch schlimmer ist es, wenn mein Mann aufpasst. Der antwortet dann aber etwas wie: „Er liegt nackig auf dem Fliesenboden im Bad und ich habe Heizung und Licht ausgemacht.“ Dann weiß ich, dass alles ok ist.

3. Sprachnachrichten verschlingen Stunden

Noch so eine Anwandlung: Ich tausche mich mehrmals täglich mit meinen Mama-Freundinnen per Sprachnachricht aus. Das gehört von Anfang an fest zu jedem Tag dazu und hilft enorm. Ich müsste mal zusammenzählen, wie viele Stunden wir jeden Tag quatschen. Nee, Moment, geht nicht, es sind unzählige Minuten. Mein Mann wundert sich immer, warum „man nicht einfach telefoniert“. Aber ihr Mamas, die ihr dies lest, versteht mich, oder? Sprachnachrichten sind einfach praktischer, weil man hören und antworten kann, wenn es gerade reinpasst. Egal, ob das Kind gerade Quengeltage hat, ob es das erste Mal „Mama“ gesagt hat, ob es zahnt, ob es lacht, ob es weint, ob es schläft – der Austausch tut gut.

Allerdings nicht immer. Man möchte ja meinen, dass es einen motiviert und einem Hoffnung schenkt, wenn man bei anderen mitbekommt, dass es (z.B. das Schlafen) besser wird. Das Gegenteil war bei mir zeitweise der Fall. Wenn ich gerade mit meinen Augendeckeln versuchte, vier Nächte mit jeweils nur vier Stunden Schlaf (natürlich nicht am Stück, wo denkt ihr hin!) hochzustemmen, und mir dann eine andere Mama erzählte, wie problemlos das Schlafen bei ihr und ihrem Winzling läuft, … ok, der Satz ist jetzt schon unschön lang. Also auf jeden Fall hat mir das dann keinen Mut gemacht, sondern mich total verunsichert. Aber auch da war immer eine andere Mama zur Stelle, die gerade auch schlimme Nächte durchmachte und schon war alles wieder ok.

Geteiltes Leid ist nun mal halbes Leid, so einfach ist das. Wenn man mitbekommt, dass es anderen auch nicht besser ergeht als einem selbst, dann hilft das, weil man sich nicht mehr so alleine fühlt mit seinen durchwachten Stunden. Man kann seine eigene Erschöpfung viel leichter wegstecken, wenn man einordnen kann, dass sie normal ist. Der Druck, dass es besser werden muss, fällt weg, wenn man merkt, dass es bei den anderen auch nicht besser läuft.

Also Mamas: Ihr müsst niemandem was vormachen. Raus mit den Tränen der Erschöpfung, her mit der Jammerei, ihr könnt mir jederzeit eine Sprachnachricht schicken.

4. Schlaf, der Endgegner

Meine persönliche Büchse der Pandora: der Baby-Schlaf und damit zusammenhängend leider auch MEIN SCHLAF. Der einzige Gedanke, der mich in den krassesten Erschöpfungsphasen über Wasser gehalten hat, war der: „Lieber tagsüber ein entspanntes, lustiges Kind und nachts ein paar Mal wach, als tagsüber ein total anstrengendes Quengelchen und nachts einen guten Schläfer“. Man muss es sich halt manchmal so hindrehen, wie man es brauchen kann, denn Schlafmangel ist Folter und macht seltsame Dinge mit den Menschen.

Ich erspare euch jetzt die ganzen Tipps wie „Schlafe, wenn das Kind schläft“, „Gewöhne das Kind an ein Einschlafritual“ und „Hör‘ auf dein Bauchgefühl“. Das kennt ihr ja alles aus den tausend Büchern, Blogs und Gesprächen, die ihr sicher zu diesem Thema gelesen und geführt habt ;).

Da wir uns auf das Gute konzentrieren wollen, folgen jetzt einfach noch drei Vorteile, die der Schlafmangel für mich im Gepäck hatte.

  1. Meine Augen sind perfekt auf Sehen im Dunkeln trainiert. Ich sollte mal zu einem Dinner in the Dark gehen und alle Gerichte durch den dunklen Raum plärren, bevor jemand kosten kann. Das wäre doch ein schöner Spaß.
  2. Meine Beinmuskulatur war dank des stundenlangen Stehens und Beugens am und übers Bettchen noch nie so gut gedehnt. Ich kann mühelos mit den Fingern meine Zehen umgreifen – bei durchgestreckten Beinen – ätsch.
  3. Ich kann jetzt wieder alle Disney-Hits auswendig. Damit habe ich den Kleinen monatelang in den Schlaf gesungen. Vor allem mit „Die Schöne und das Biest“, „Pocahontas“ und „Mulan“. Er wird mir auf ewig dankbar sein.

Seit er ein Jahr alt ist, schläft er übrigens sehr verlässlich durch. Und damit auch ich wieder. Lustigerweise konnte ich aber anfangs, als er schon durchgeschlafen hat, selbst nicht mehr durchschlafen. Ich bin ständig aus „alter“ Gewohnheit hochgeschreckt. Wie schnell man sich doch gewöhnt ;).

5. Meine Identität – einmal auf links gedreht

„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ von Richard David Precht hab‘ ich nie gelesen, aber der Buchtitel kam mir im letzten Jahr sehr oft in den Sinn. Ich hatte ja kurz vor der Schwangerschaft meinen Job gekündigt und damit schon ein ganzes Stück meines Selbstverständnisses von heute auf morgen absichtlich verloren (und zum Glück nach wie vor nicht bereut). Es fühlte sich ein bisschen so an, als wäre der eine vereinnahmende Job weggefallen und durch den anderen vereinnahmenden Job als Mama ersetzt worden – das hat mich ganz schön durchgerüttelt und ging weniger selbstverständlich vonstatten, als ich erwartet habe.

Ich habe mir mithilfe meines Coachs viele Gedanken dazu gemacht. Was ist weggebrochen? Was ist dazugekommen? Bin ich angekommen? Kann ich mir die Mutterrolle als vollwertige Beschäftigung zugestehen?
Die Beantwortung der letzten Frage ist für mich die schwerste. Auch seit ich Mama bin, kann ich die Arbeit nicht lassen. Elternzeit – Fehlanzeige. Es macht mir Spaß und sorgt für einen schönen Ausgleich. Aber auch das musste ich mir erst eingestehen. Dass ich wohl nicht „nur“ Mama sein kann, auch wenn ich immer unbedingt Mama werden wollte.

Holla, das wurde jetzt doch mehr, als ich dachte. Ist noch irgendwer da? Wenn ja, schreibt mal, wie es euch so mit den einzelnen Punkten ergeht oder erging. Das würde mich sehr freuen!