Zeh, Kast, Stucki, Kracht: 10 Bücher, die ich seit der Geburt gelesen habe

Picture of von JULIA DETTMER

von JULIA DETTMER

Kurz nach der Geburt dachte ich, ich komme nie wieder zum Lesen. Dann musste ich mir eingestehen, dass ich es einfach nur nicht tue, obwohl ich Zeit hätte – beim Stillen nämlich. Und so wächst der „Gelesen“-Stapel neben dem Bett doch stetig an. Heute gibt’s ganze 10 Minikritiken zu den Büchern, die ich mir seit der Niederkunft einverleibt habe..
Ihr fragt ja immer bei Instagram danach und könnt euch – si si claro – auf mein fachkundiges Urteil verlassen ;-). Übrigens verlinke ich nix, weil ihr seid ja selber des Googelns mächtig, nech?

1. Juli Zeh: „Adler und Engel“
Ganz kurz: kratzt, verstört, fesselt, tut weh

Beginnen wir mit einem 20 Jahre alten Oldie, der von damals bis heute in den Himmel gelobt wurde und wird. Meine Reise mit Juli Zeh begann ja mit „Neujahr“, das so gar nicht das richtige Buch für eine frischgebackene Mama war. „Adler und Engel“ war schon bekömmlicher, aber irgendwie auch wieder nicht. Mir hat’s nicht gefallen, weil es furchtbar langsam in Gang kam und sich erst hintenraus entwickelte, da dann allerdings nicht so richtig stringent und am Ende verlief es wie ein dunkles Aquarell.
Nicht mein Buch. Bisher nicht meine Autorin. Ein paar weitere Zeh-Werke habe ich noch rumliegen, mal sehen, wann ich mir wieder eines – und so muss ich es leider nennen – zumute.
Einschub: Davon hatte ich es neulich mit meiner Schwägerin. Muss ein Buch gut unterhalten? Muss es aufrütteln und an Grenzen bringen? Muss es neue Sichtweisen eröffnen, stören und unangenehm sein? Ein Buch muss gar nichts, außer aus welchen Gründen auch immer gelesen werden, finde ich, Idealerweise bis zum Ende. Natürlich ist Juli Zeh eine ausgezeichnete Autorin, dir ihr Handwerk beherrscht. Ihre Art zu schreiben deckt sich nur einfach nicht mit meinem Geschmack.

2. Christian Kracht: „Faserland“
Ganz kurz: geht so schnell, wie es kam

Gleich noch ein Oldie. „Faserland“ ist von 1995. Da war ich neun, konnte schon lesen, aber bekam das Ding zum Glück nicht in die Finger (sondern alles von Enid Blyton). Jetzt, fast drei Jahrzehnte später, liest sich das natürlich ganz anders als damals. Vermutlich aber nicht weniger zackig, ist ja nur so’n Heftchen. Es fällt mir schwer, daran irgendwas zu kritisieren, weder positiv noch negativ. Weil es so belanglos ist. Am Ende ist es die Reise eines Rich Kids durchs Land, garniert mit Zigaretten, viel Alkohol, teuren Jacken, Autos und dürftigen Manieren. Wieso war das damals so ein Muss? Den Nachfolger „Eurotrash“ (sagt man Juroträsch oder Euroträsch?) lese ich jetzt, Bericht folgt, bisher ist es aber auch belanglos.

3. Bas Kast: „Die Geschichte eines Sommer“
Ganz kurz: ähnlich wie aber besser als „Das Café am Rande der Welt“

Ich kannte Bas Kast bisher nur als Autor von „Der Ernährungskompass“, den ich aber nicht gelesen habe, weil ich ja keine Ernährungsexperimente mehr anstelle. Seinen Roman bekam ich zu Weihnachten geschenkt und bin der Schenkerin sehr dankbar, denn die Geschichte hat mich bei jedem Lesen mit Sonne übergossen und dabei luftig gebettet. Es tat richtig gut und hinterließ ganz tief in mir drin ein angenehmes Gefühl. Herr Kast hat quasi mit Tiefgang Leichtigkeit transportiert. Bitte mehr Romane schreiben!

4. Franziska Böhler: „I’m a Nurse: Warum ich meinen Beruf als Krankenschwester liebe – trotz allem“
Ganz kurz: Pflegenotstand aus der Perspektive einer Krankenschwester, aufrüttelnd!

Dieses Buch sollte einfach jeder gelesen haben. Man weiß es ja eh, aber man kennt die Details nicht so richtig (ich kannte sie zumindest nicht). Man muss sie aber kennen, um zu verstehen, wie krank unser Krankensystem ist. Keine seichte Lektüre, trotzdem leicht zu lesen. Hut ab, Franzi. Ich finde es bemerkenswert und toll, was du mit deinem Instagram-Account geschafft hast – man kann dieses Social Network eben doch nicht pauschal verteufeln.*

5. Philippa Perry: „Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen: (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast)“
Ganz kurz: einige wertvolle Denkanstöße für jede*n (nicht nur für Eltern)

Ich habe mindestens 30 Eselsohren an Stellen reingemacht, die ich „später nochmal nachschlagen“ will. Leider kann ich gerade nicht zitieren, weil ich das Buch bei meinen Eltern abgeladen habe. Mal sehen, ob sie es lesen. Vielleicht sagen sie dann: „Allmächt!“
Ich störe mich ja oft an schlechten Übersetzungen – hier ist die deutsche Version aber gut gelungen und liest sich flüssig. Das Buch ist lebhaft geschrieben und obwohl es ein Nutzwert-Buch/Sachbuch ist, wirkt es wie ein zusammenhängender Roman. Ich habe mich an die Hand genommen gefühlt, ohne dass ich nur den tadelnden Zeigefinger zu fassen kriege. So kann ich Ratschläge viel besser aufnehmen. Perry schreibt außerdem mit einer Prise Ironie, was die teilweise harte Kost leichter bekömmlich macht.
Ein paar Tipps habe ich mir gemerkt und wende sie schon an, obwohl mein Boy noch ein Baby ist, an dem man nicht groß rumerziehen kann: Ich-Botschaften senden, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen, damit man sich da der Schnitzer bewusst wird, die einen in der eigenen Persönlichkeit beeinflussen, Handysucht behandeln, Frustrationstoleranz stärken, Hilfe zur Selbsthilfe … und natürlich viel Empathie.
Kritikpunkt: Das Werk hätte kürzer sein dürfen, meinetwegen ein paar knackige Essays.

6. Lily Allen: „My Thoughts Exactly“
Ganz kurz: hui, unmissverständlich ehrlich, das haut rein

Lily Allen fand ich immer cool, aber sie war mir relativ wurscht. Nur bei ihrem zweiten Album von 2008 „It’s Not Me, It’s You“ war jeder Song ein Hit und ich kann sie bis heute alle auswendig. Irgendwie kam mir ihr Buch in die Finger und zack war es durchgelesen. Musiker:innen-Biografien sind einfach was Spannendes, gerade wenn man selber (zumindest vor Corona) ständig auf Konzerten abgehangen ist. „My Thoughts Exactly“ ist ein sehr treffender Titel, denn die Gute lässt tief blicken. Diskriminierung, Fehlgeburt, Drogen, Sex, Scheidung – da ist alles drin, was einen guten Absturz begleitet. Nach der Lektüre dieses Buchs dachte ich tatsächlich kurz, dass Lily Allen in den Club 27 „gepasst“ hätte. Zum Glück kam es bei ihr nicht so weit. Also, wirklich lesenswert, auch wenn man nicht besonders auf Lily steht. Ihre Geschichte steht sicher stellvertretend für viele.

7. Omid Scobie & Carolyn Durand: „Finding Freedom“
Ganz kurz: Grrrrr!

Meine Schwägerin und ich (beide bekennende Meghan-Beobachterinnen) haben das Buch parallel gelesen und uns rege darüber ausgetauscht.
Ehrlicherweise nicht nur ausgetauscht, sondern echauffiert. Da steckt so vieles drin, über was man sich einfach nur aufregen möchte, weil es nicht authentisch wirkt, unwahr rüberkommt, bigott scheint, widersprüchlich ist. Zudem enthält das Buch sooo viele Details, die nur von H&M selbst verraten worden sein können, weil sogar dabeisteht, dass die beiden in diesen Situationen alleine waren. Wem wollen sie bitte weismachen, dass sie mit diesem Buch nichts zu tun hatten? Nun ja. Ganz ehrlich, das ist Meghans Autobiografie, mit der sie ihr mittlerweile durch zu viele ungeschickte Aktionen missratenes Image retten will. Ein herrlicher Aufreger und ich kann zu gut verstehen, dass z.B. mein Mann nur den Kopf schütteln konnte, wenn er mich wieder mit diesem Schinken stillen sah. Trotzdem habe ich es verschlungen – aus Freude an der Sensation. Punkt für die Autorin des Buchs.

8. Mary L. Trump: „Zu viel und nie genug“
Ganz kurz: interessant, teilweise zu viel verletzter Stolz

Lustig, als ich das Buch gelesen habe, war ER noch im Amt. Jetzt ist ER weg und nach diesem Buch kräht auch kein Hahn mehr, aber der Vollständigkeit halber führe ich es hier auf. Es ist interessant und das meiste wusste ich nicht über Trump. Ob man es aus der Feder einer seiner Widersacherinnen für bare Münze nehmen sollte, ist eine andere Frage. Aber es ist spannend, wie eine Psychologin diesen Mann beschreibt. Das Ende ist mir dann doch zu heftig (da unterstellt sie Trump, er habe George Floyd ermordet).*

9. Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter: „Alle sind so ernst geworden“
Ganz kurz: ulkig, pointiert, Stucki dirigiert

Ich habe lange nix mehr von BvSB gelesen. Ehrlicherweise habe ich ihn seit „Soloalbum“ nicht aus den Augen gelassen, aber eher durch den Konsum seiner anderen Formate wie Talkshow-Auftritte, Video-Reihen, Podcasts. Die haben mich immer blendend unterhalten, denn der Typ ist ein Juwel, was seine Sprache anbetrifft. Ich wüsste nicht, wer ihm im spontanen Pointen-Battle das Wasser reichen könnte. Oder ist er gar nicht so genial und wir haben nur denselben Humor? Wurscht, das Buch ist wie eine Tüte Gummibärchen (nicht die langweiligen Goldbären, sondern so eine Papiertüte aus dem Freibad, in die man sich für 10 Pfennig das Stück die tollsten Gummischlangen, Schaumerdbeeren und Brausekracher füllen ließ – jedes Stück ein Genuss). Ich werde da sicher noch öfter reinschauen, wenn ich eine Portion Aufheiterung brauche. Wenn es denn irgendwann zurück in meinen Besitz findet, denn natürlich habe ich es direkt mit „Musste unbedingt lesen!“ verliehen. Vor allem das Kapitel über Glitzer ist famos.
Ich freue mich auf die Lesung im September, hoffentlich kann sie stattfinden.

10. Shermine Shahrivar: „Happy Life Diät“
Ganz kurz: schnell gelesen, beliebig, hätte als Artikel in einer Zeitschrift gereicht

Dieses Buch ist ein sehr kleines, sehr dünnes Buch und dafür steht sogar relativ viel drin. Einziges Problem: Das, was da drin steht, ist nichts Neues. Das hat man alles schon zigfach in irgendwelchen Frauenzeitschriften gelesen. Nun gut, mag man sagen, Shermine kann das Rad ja nicht neu erfinden. In den klassischen Bereichen, die Frauen vermeintlich interessieren, ist halt alles schon mal gedruckt worden. Trotzdem hätte ich mir ein bisschen mehr Witz bei der Sache gewünscht. Für meinen Geschmack wird hier Altbekanntes als heißer neuer Aufguss verkauft und das nervt mich. Der Titel nervt mich auch, denn ich frage mich, wieso man „Diät“ auf das Cover eines Buches klatscht, wenn zwischen den Buchdeckeln von Diäten abgeraten wird.
Also fassen wir es positiv zusammen: Dieses Buch ist etwas für Menschen, die die Evergreens des Frauenzeitschriftenwissens kompakt gebündelt haben möchten.

Und was kommt als nächstes? Den neuen Safier „Miss Merkel“ habe ich schon inhaliert, er war köstlich. Jetzt, wie gesagt, „Eurotrash“ und danach liegt schon der sehnlichst erwartete neue Band aus der Andrea Schnidt-Reihe von Susanne Fröhlich bereit: „Abgetaucht“.

Damit das hier nicht so einseitig abläuft: Was habt ihr zuletzt gelesen und empfehlt es? Her damit!

* Dieses Buch wurde mir als Rezensionsexemplar kostenlos zur Verfügung gestellt.